Der ehemalige „Markt von Manheim“ (© Foto: H. Perschke)

1982 zog ich mit meiner Familie nach Buir. Vom Tagebau Hambach war noch nichts zu spüren. Die Sophienhöhe, die Abraumhalde, existierte noch nicht und die Häuser des Ortes Steinstrass stand noch, waren aber verlassen. 2025 sollten sich die Bagger des Tagebaus bis an Buir herangearbeitet haben, so hieß es. Das waren noch fast 40 Jahre und da ich Tagebaue aus dem Bereich Helmstedt kannte, war die Zukunft für mich unproblematisch.

In den folgenden Jahren nahm ich den Hambacher Forst, wie er jetzt hieß, mit meiner Familie in „Besitz“. Mit dem Fahrrad fuhren wir im Sommer bis nach Elsdorf ins Freibad oder in die Eisdiele. Im Frühjahr beobachteten wir wie die Frösche leichten, sahen die Kaulquappen und fanden in den Tümpeln Molche. Der Wald bot Naturerlebnisse und Entspannung. Wir bekamen mit, dass der Wald ursprünglich den umliegenden Dörfern gehörte und andere Namen trug. Es war die Buirer, Ellener, Niederzierer oder Manheimer Bürge usw. Fast 30 verschiedene Namen gab es für die 4.100 ha große Waldfläche. Doch jetzt hieß er Hambacher Forst und wenn im Herbst und Winter für den Tagebau Waldflächen gerodet wurden, war es der Hambacher Forst und nicht die mit Heimatgefühlen verbundenen Bürgewälder.

Der Wald verschwand und wurde immer kleiner, das Loch des Tagebaus ist inzwischen gigantisch und die Sophienhöhe erhebt sich weithin sichtbar. Ein derartig großes Loch gab es bis dahin nicht und ist für Europa einmalig. Mit dem Gigantismus des Tagebaus wurde ich immer nachdenklicher und stellte mir die Frage nach dem Sinn dieses Unterfangens. Schützenswerte Natur verschwand und Menschen mussten gegen ihren Willen ihre Häuser, ihr Dorf, ihre Heimat verlassen.

Manheimer Straßenpanorama: Bennenwinkelstr. im Aug. 2012 (© Foto: H. Perschke)
Manheimer Straßenpanorama: Bennenwinkelstr. im Dez. 2019 (© Foto: H. Perschke)

Ein Schlüsselerlebnis war für mich ein älteres Paar, das an der Kante des Tagebaus stand und einfach schluchzte und heulte. Warum? Die Heimat, das Haus, der Wald ist für immer und ewig im Loch verschwunden – niemals mehr auffindbar. Dieses Erlebnis hat mich tief berührt und so nahm ich mir vor, für die Menschen in meinem Nachbardorf Manheim, die für den Kohleabbau umsiedeln mussten, ein fotografisches Erinnerungsalbum zu gestalten. Mit den Fotos sollte ihnen die Erinnerung an ihrer Heimat erhalten bleiben.

In der Zeit meiner Fotografie in Manheim hatte ich viele Kontakte mit den Bewohnern. Ihre Umsiedlung stand bevor und ihre Haltung war geprägt von Ungewissheit, was auf sie zukommt. Nur die Jugendlichen sahen ihrem neuen Standort positiv entgegen. Von dort aus waren sie schneller in Einkaufszentren, im Kino und mehr. Älteren gab die Nachbarschaft Halt, auch im neuen Dorf zusammen zu bleiben. Für Heimatvertriebene, die nach dem 2. Weltkrieg nach Manheim kamen, war es die zweite Vertreibung. Die Zukunftserwartungen waren von Person zu Person verschieden. Aber alle mussten sich mit ihrem Heimatverlust auseinandersetzen, ihre vertraute und geliebte Umgebung verlassen.

2013 erschien für die Manheimer das Erinnerungsalbum, so wie ihr Dorf einst ausgesehen hat. Bereits 10 Jahre später ist von dem Dorf fast nichts mehr übrig. Nur noch drei Landwirte leben noch mit ihren Familien hier. Die Kirche und wenige Häuser stehen noch. Die Straßen mit Laternen sind noch vorhanden, aber die ehemaligen Anwesen sind nur noch Brachland

Manheimer Straßenpanorama: Berrendorfer Str. im Aug. 2012 (© Foto: H. Perschke)
Manheimer Straßenpanorama: Berrendorfer Str. im Dez. 2019 (© Foto: H. Perschke)

Vor meinem ursprünglichen Gefühl hatte ich niemals vor, das zerstörte Manheim zu fotografieren. Ich wollte es im „heilen“ Zustand in Erinnerung behalten. Dann hat doch der dokumentarische Fotograf in mir die Oberhand gewonnen und ich habe in den Jahren 2019/20 vergleichende Fotos aufgenommen. Vom selben Standort, mit derselben Perspektive und derselben Objektivbrennweite wiederholte ich ausgewählte Aufnahmen und kann nun zeigen, wie sich das Dorf verändert hat.

Ich war nicht nur der distanzierte Dokumentarist. Besonders der Abriss des Schwimmbades hat mich getroffen. Meine Kinder lernten hier Schwimmen und in der Turnhalle hatten sie ihr Judotraining. Die Menschen in Manheim-neu haben inzwischen ihren Ortswechsel akzeptiert. Ihnen bleibt aber die Wehmut, zumal die Fläche des Ortes nicht mehr für die Kohleförderung genutzt wird.

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