Blick von der Schwebefähre auf die Niers an der Grenze zwischen Mönchengladbach und Willich (© Foto: F. Vincentz)

Eine solch glückliche Überlieferungslage gibt es bei Gewässernamen nicht häufig.

Die Niers ist das Hauptgewässer des linken Niederrheins und entspringt im Ortsteil Kuckum (Erkelenz). Sie durchfließt die Region Niederrhein gut 110 km lang, bevor sie Deutschland verlässt, um wenige Kilometer später im niederländischen Gennep in die Maas zu münden.

Namenkundlich betrachtet ist Niers ein sehr spannender Fall – die früheste Überlieferung des Flussnamens stammt bereits aus der Zeit zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert und ist in Stein gemeißelt: In einen Weihestein aus der Zeit der Matronenverehrung. Die so genannten Matronen waren eine Göttinnengruppe, die insbesondere im Gebiet der Voreifel verehrt wurden. Die Kulte waren keltisch, germanisch und römisch geprägt und sind uns heute fast ausschließlich durch bildliche Überlieferungen und Überreste von Tempelbezirken zugänglich.

Matronenalter für die Matronae Nersihenis (© Foto: P. Groß / Archäologisches Institut der Universität zu Köln)

Häufig befinden sich auf den Weihesteinen Darstellungen dreier sitzender Frauen, gekleidet in ubischer Festtagstracht. Die beiden außen sitzenden Göttinnen können durch ihre haubenartige Kopfbedeckung als ältere Frauen identifiziert werden, die mittlere Göttin trägt ihr Haar offen und mit Kopfschmuck, ein Zeichen jüngerer Frauen. Daneben, oder aber ausschließlich, befindet sich auf den Steinen eine Aufschrift, die verdeutlicht, welche Göttinnen mit dem Stein geehrt werden sollen. So trägt jener Stein, der uns den Namen Niers überliefert, im Gebiet um Jülich gefunden wurde und heute im LVR-LandesMuseum Bonn aufbewahrt wird, die Worte:

Matro[nis] / Vatviab(us) / Nersihenis / Priminia / Iustina / pro se et suis / ex imperio ips(arum) l(ibens) m(erito)

Übersetzung: ‚Den Nersihener Vatuvischen Matronen hat auf deren Geheiß Priminia Justina dies Denkmal für sich und die Ihren hinterlassen‘

Der Matronenname Nersihenis bezieht sich auf den heutigen Namen Niers und stellt somit den frühesten Beleg für diesen Namen dar. Das nächste Zeugnis liegt dann mit Nersa aus dem Jahr 856 vor. Tatsächlich ist der Name wohl aber noch viel älter: Er gehört zu den so genannten alteuropäischen Gewässernamen, die etwa 4.000 bis 4.500 Jahre alt sind. Diesen Gewässernamen liegen indoeuropäische Wurzeln zugrunde und sie sind heute noch in ganz verschiedenen Sprachen Europas zu finden. Niers geht auf die Wurzel *ner-/nor- zurück, was so viel wie ‚tauchen, Höhle, Grube‘ bedeutet.

Möglicherweise sollte mit dem Namen verdeutlicht werden, dass es sich um einen Fluss handelt, der sich besonders tief in die umliegende Landschaft eingegraben hat. Die gleiche Wurzel findet sich unter anderem auch im spanisch-baskischen Flussnamen Nervión, im Flussnamen Neretva (Herzegowina) und im französischen Flussnamen Narais. Für die Hebung von langem e zu i finden sich Parallelen in den rheinischen Mundarten, ob hier die gleichen Sprachwandelvorgänge ursächlich waren, ist jedoch nicht eindeutig zu klären.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Fluss für verschiedene Gewerbe genutzt, zuerst um Mühlen zu betreiben, später dann um die Abwässer der nahegelegenen Textilfabriken aufzunehmen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Wasserqualität zu verbessern, und seit den 1990er Jahren wird zudem versucht, streckenweise einen naturnahen Rückbau der Niers zu ermöglichen, um Tieren und Pflanzen in den Auen einen verbesserten Lebensraum bieten zu können.

Diese geSCHICHTE ist ebenfalls in DAT PORTAL, dem Online-Auftritt der Sprachwissenschaftler:innen des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte, zu finden.

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