Bleistiftzeichnung der Kirche in Alt-Morschenich.
Kirche in Alt-Morschenich. Zeichnung von Ulrike Thiel

Ulrike Thiel kommt aus Norddeutschland. Vor vielen Jahren ist sie nach Morschenich auf einen großen Hof gezogen, der saniert werden musste. Sie hat sich in das kleine rheinische Dorf verliebt. Der Hambacher Forst fasziniert sie bis heute, etliche Ausflüge mit ihren Pferden hat sie darin unternommen. Im Laufe der Jahre hat Ulrike Geschichten über Morschenich geschrieben.

Ulrike Thiel und eine Mitarbeiterin des Projektteams "geSCHICHTEN Rheinisches Revier" sitzen an einem Tisch auf dem Schulhof in Alt-Morschenich. Frau Thiel liest etwas vor.
Ulrike Thiel mit einer Mitarbeiterin des Projektteams „geSCHICHTEN Rheinisches Revier“ auf dem Schulhof in Alt-Morschenich. © Foto: G. Fanton, LVR-ILR

Die Geschichten waren in Vergessenheit geraten – erst während des Umsiedlungsprozesses, der 2009 für das Dorf Morschenich beschlossen und 2015 gestartet wurde, hat Ulrike sich an sie erinnert. Zunächst war sie natürlich mit vielen Herausforderungen beschäftigt. Sie berichtete, dass sie sich anfangs mit dem Gedanken an die Umsiedlung arrangierte. Erst die Massen an Demonstranten veränderteren ihre Sichtweise. Nichtsdestotrotz zog Ulrike in das vorgesehene Neubaugebiet und war dann mit dem Neuanfang beschäftigt.

Dennoch zog es sie weiterhin ins alte Morschenich, das ihr als eine Art Rückzugsort diente:

„Ich bin dann [nach der Umsiedlung] noch sehr oft nach Morschenich-Alt gefahren. Immer wenn ich das Gefühl hatte, ich muss Luft holen, ich muss durchatmen und ich die Nase voll hatte – denn da wächst kein Baum, kein Strauch, ist ja furchtbar – dann habe ich gedacht, komm, fahr nach Morschenich. […] Dann habe ich auf den Erbwald geschaut, dann konnte ich entspannen und hatte wieder meinen Seelenfrieden.“

Durch die Verlusterfahrung hat Ulrike gemerkt, wie viel ihr der alte Ort bedeutet und wie sehr er zu ihrer Heimat geworden ist.

„Ich habe erst nach der Umsiedlung gemerkt, dass Morschenich meine Heimat war.“

In dieser Phase erinnerte sich Ulrike, wie eingangs beschrieben, an ihre Geschichten über den Ort. Jetzt betrachtet sie diese als eine Hommage an Morschenich-Alt.

Aktuell wird eine ihrer Geschichten mit Zeichnungen verlegt und gedruckt. Es ist ein Buch für Kinder und Erwachsene, die das Kind in sich behalten haben, wie Ulrike erklärt. Es handelt von Lisa und Günther, die mit ihren zwei Hunden, zwei Pferden und einer Katze aus der Stadt auf das Land ziehen. Genauer gesagt auf einen großen, alten Hof im alten Morschenich. Lisa versteht die Sprache der Tiere und so entwickeln sich eine Vielzahl an Geschichten rund um das Leben der Tiere auf dem Hof.
Der alte Hof in Morschenich diene als Vorlage für die Geschichte, so Ulrike. Zunächst habe sie keineswegs vorgehabt, ein Buch zu publizieren. Doch als sie die Geschichte ihren Schüler*innen der 5./6. Klasse vorlas und die Kinder begeistert reagierten, habe sie sich entschlossen, Kontakt zu einem Verlag aufzunehmen. Nun wird die Geschichte zusammen mit Zeichnungen von Ulrike veröffentlicht.

Bleistiftzeichnung der Kirche in Alt-Morschenich.
Kirche in Alt-Morschenich. Zeichnung von Ulrike Thiel

Eine andere Geschichte über Morschenich hat uns Ulrike für den geSCHICHTEN-Blog erzählt und übermittelt. Es ist gleichzeitig eine Berichterstattung und eine Liebeserklärung, in der die Gefühle zur Heimat, die Gefühlswelt der Betroffenen des Umsiedlungsprozesses und die unsichere Gefühlslage beim Blick in die Zukunft feinfühlig beschrieben werden:

Morschenich

Morschenich war meine Heimat. Dieses kleine rheinische Straßendorf liegt mitten im Feld und es erinnert mich an das Dorf von Asterix und Obelix, das von den Römern nie erobert wurde.

Stundenlang konnten wir damals durch diesen großen, alten, artenreichen Wald, den Hambacher Forst, der westlich an das Dorf grenzte, reiten. Wir ritten im Schritt, waren still, hin und wieder schnauften die Pferde und der Gesang der Vögel begleitete uns.

An manchen Abenden versank die Sonne wie ein glühender Feuerball hinter diesem dunkel erscheinenden Wald. Man bestaunte die Größe und Schönheit der Natur und wurde sich der eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst.

Morschenich war ein besonderes Dorf, ein stilles Dorf, in dessen Winkeln man die Vergangenheit, die Traditionen, die freudigen Ereignisse und die Tragödien, die die Menschen erlebt hatten, spürte.

Erst später, nachdem ich umgesiedelt war, wurde mir bewusst, dass es für dieses Besondere ein Wort gibt: Es ist das Wort Heimat.

Der Herbst kündigt sich an, Nebel liegt schwer auf den Feldern. Nur noch schemenhaft erkennt man die Häuser des Dorfes, und es scheint wie ein Vorbote zu sein für etwas, was den Bewohnern bevorsteht: Unsicherheit, nicht Wissen, Ängste und viele ungeklärte Fragen.

Die ersten Informationsveranstaltungen zur Umsiedlung begannen und im Laufe der Jahre entwickelten sich Konzepte der verschiedenen Bereiche – ein neues Dorf entstand.

Der Abriss des Dorfes Morschenich und die bergbauliche Nutzung der Flächen, einschließlich Erbwald schienen in Stein gemeißelt zu sein.

Aber dann geschah etwas Unerwartetes: Menschenmassen demonstrierten für den Erhalt des restlichen Hambacher Forstes. Diese Demonstrationen zeigten Wirkung.

Der Restwald, das Dorf Morschenich, der Erbwald und die angrenzenden Flächen wurden bergbaulich nicht mehr in Anspruch genommen.

Jetzt klafft eine große Wunde bis zu einer Tiefe von 450 m in der Erde.
Was wird jetzt aus diesem Dorf?
Der Verfall der Häuser schreitet voran und nur wenige der Bewohner sind geblieben. In manchen Häusern leben Flüchtlinge.

Von Ulrike Thiel

Kirche in Alt-Morschenich.
Kirche in Alt-Morschenich. © Foto: G. Fanton, LVR-ILR
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