3D-Modell der Grundmauern der Kapelle mit freigelegten Bestattungen während der Ausgrabungen.
3D-Modell der Grundmauern der Kapelle mit freigelegten Bestattungen während der Ausgrabungen. © Grafik: Timo Bremer, Univ. Bonn

Kirchen – markante Orientierungspunkte seit Jahrhunderten

Viele der frühesten Kirchen des ländlichen Rheinlandes gehen auf frühmittelalterliche Gründungen (ab der Mitte des 5. Jh.) zurück. Sie stellen wichtige Kristallisationspunkte für die Entstehung von Dörfern und die Bildung von (Kirchen-)Gemeinden dar. Oft sind sie bis heute kilometerweit sichtbare Landmarken.

In Vilvenich, einem Ortsteil von Pier, war die Kapelle der Hl. Helena eine solche Landmarke, bis sie 2010 im Vorfeld des voranschreitenden Tagebaus Inden bis auf die Grundmauern abgebaut werden musste. Was einerseits den Verlust eines geschichtsträchtigen Bauwerks für Ort und Menschen der Gegenwart bedeutete, barg nun andererseits die Chance, mehr über älteste Spuren früher Christen im Rheinland herauszufinden.

Dreidimensionale Rekonstruktion der Kapelle von Vilvenich. Mit ihrem markanten Mauerwerk hervorgehoben sind die nachträglich verschlossenen Fenster und das sogenannte Gewände, das ist die seitliche Begrenzung des Türbogens.
Dreidimensionale Rekonstruktion der Kapelle von Vilvenich mit verschlossenen Fenstern und sogenanntem Gewände (seitliche Begrenzung) des Türbogens. © Grafik: Anna Stefanischin/Torsten Rünger, Univ. Bonn

Dem Alter der Kapelle auf der Spur – das Puzzeln beginnt

Klar war von vornherein: Die Aufgabe war nicht einfach. Es gab zwar Hinweise auf ein hohes Alter der Kapelle, etwa ihre Schutzheilige Helena, die bereits seit dem 10. Jh. in dieser Funktion nicht nur im Rheinland auftritt. Auch der gut erhaltene sogenannte romanische Baustil, u.a. mit den typischen Rundbogenfenstern, ließ eine frühe Entstehung zwar vermuten, aber nicht genauer datieren.

Die Rundbögen der Fenster sind eines der wichtigsten Elemente des romanischen Baustils. Sie wurden in Vilvenich später zugemauert.
Die Rundbögen der Fenster sind eines der wichtigsten Elemente des romanischen Baustils. Sie wurden in Vilvenich später zugemauert. © Grafik: Fotogrammetrie, Messbildstelle GmbH Dresden

Mit Hilfe der RWTH Aachen gelang es zunächst, das gesamte Bauwerk noch vor seinem Abbau mit kunsthistorisch-baukundlichen Methoden aufzunehmen. So konnten viele neue Informationen zur baulichen Entwicklung der Kapelle gesammelt werden. Was aber nach wie vor im Dunkeln blieb: der Gründungszeitpunkt.

Grabungen bringen neue Erkenntnisse ans Licht

Einige Jahre später bot sich dann erneut die Gelegenheit, dem Geheimnis um das Alter der Kapelle auf die Spur zu kommen. 2016-2017 fand im Rahmen des „Pier-Projekts“ der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit der Außenstelle Titz des LVR-Amts für Bodendenkmalpflege im Rheinland eine große Ausgrabung in Vilvenich statt.

3D-Modell der Grundmauern der Kapelle mit freigelegten Bestattungen während der Ausgrabungen.
3D-Modell der Grundmauern der Kapelle mit freigelegten Bestattungen während der Ausgrabungen. © Grafik: Timo Bremer, Univ. Bonn

Nicht nur der bis dahin erhalten gebliebene Grundriss der Kapelle, sondern auch ein zugehöriges Gräberfeld wurden vollständig freigelegt. Es kamen etwa 120 Bestattungen von Menschen zutage, deren Lage im Verhältnis zum Bauwerk wieder viele neue Erkenntnisse zu dessen Entstehung und verschiedenen Bauphasen ermöglichten. Aber wie alt die Kapelle nun tatsächlich war, wurde auch jetzt noch nicht richtig klar.

Gesamtplan der Ausgrabung um die Kapelle von Vilvenich. Farbig hervorgehoben sind die auf verschiedenen Höhen dokumentierten Befunde, wie z.B. Gräber und Mauern.
Gesamtplan der Ausgrabung um die Kapelle von Vilvenich. Farbig hervorgehoben sind die auf verschiedenen Höhen dokumentierten Befunde, wie z.B. Gräber und Mauern. © Grafik: Torsten Rünger, Univ. Bonn

Daraufhin wurde eine naturwissenschaftliche sogenannte AMS-14C-Datierung der menschlichen Skelettreste durchgeführt, die mit Unterstützung der „Stiftung Archäologie im Rheinischen Braunkohlenrevier“ zustande kam. Das Gräberfeld existierte bereits im 5.-7. Jh., in der sogenannten Merowingerzeit! Die Menschen der Merowingerzeit gehörten zu den ersten katholischen Christen im Rheinland. Aber war auch die Kapelle selbst so alt wie das Gräberfeld?

Es fanden sich tatsächlich Hinweise auf eine frühe Kirche, die aus Holz gebaut war. Sie entstand allerdings etwas später, um die Mitte des 8. bis zum frühen 10. Jh., also in der Zeit der Karolinger und Ottonen. Aus dieser ersten einfachen Holzkirche wurde schließlich eine Saalkirche aus Stein, die in den folgenden Jahrhunderten mehrfache Umbauten erfuhr. So blieb ein Platz, an dem einige der frühen Christen des Rheinlands bestattet waren, bis in unsere Zeit ein sakraler Ort.

Vom Umbruch zur Tradition

Gräberfeld und Kapelle von Vilvenich zeugen von einem Wandel der religiösen Weltanschauung der Bevölkerung, der im frühen Mittelalter begann und sich spätestens im hohen Mittelalter durchsetzte. Dieser war so nachhaltig wirksam, dass das katholische Christentum auch heute noch im Rheinland verbreitet ist. Die aktuelle Diskussion deutet hier womöglich den Beginn eines neuen Wandelprozesses an – aber das ist eine andere geSCHICHTE.

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